Freitag, 21. August 2009

Nachbetrachtung der Hessmobs von www.17august.info


Nachbetrachtung

Mit dem Verbot des Rudolf-Heß-Gedenkmarsches in Wunsiedel im Jahre 2005 und den immer stärkeren Repressionen seitens des Staates setzte auch die Schweigespirale immer deutlicher ein. Zwar konnten Aktivistengruppen mit viel Idealismus durch einzelne Plakat-, Transparent-, Sprüh- und Flugblattaktionen vor Ort immer wieder einige Menschen auf den Opfergang des letzten Gefangenen von Spandau aufmerksam machen - eine übergreifende mediale Berichterstattung, hinein in die Wohnzimmer, blieb jedoch aus.

Damit wurden das Andenken und das Wissen um das Schicksal von Rudolf Heß allein auf die Kreise der radikalen Rechten reduziert. Was mit der 46 Jahre andauernden Inhaftierung von Heß begann und dem feigen Mord an dem 93-Jährigen endete, sollte nun fortgesetzt werden: Die Tabuisierung der Hintergründe des Englandfluges.

Der propagandistische Wert eines Flashmobs ist gleich null, er ist ein nach innen gerichtetes Ereignis. Das weiß jeder, der genügend Vorstellungskraft aufbringen kann oder schon einmal an einem Flashmob teilgenommen hat. Dutzende Menschen kommen zusammen, führen eine gemeinsame Handlung aus und verschwinden wieder. An der Aktion Unbeteiligte bleiben fragend zurück. Informationen können so nur schlecht transportiert werden.

Aus diesem Grunde war es für den Erfolg der Aktion auch nahezu unerheblich, ob die einzelnen Flashmobs tatsächlich in Erscheinung treten. Allein ihre Ankündigung war das Mittel, um das Thema "Heß" in die Medien zu transportieren. Im BRD-System haben die Massenmedien zwei Aufgaben: Ein "demokratisches Bewusstsein" zu schaffen - das verlangt der Parteienapparat - und, eine interessante Geschichte zu erzählen - das verlangt das Publikum. Rüttelt man auch nur an einem Tabu, wittern die Journalisten ihre Schlagzeile - dies umso mehr, wenn dem Tabubruch ein überregionaler Charakter innewohnt.

"Klassische" Demonstrationen seitens nationaler Kreise, "gewohnte" Propaganda-Aktionen zu historisch bedeutsamen Terminen oder regionale Spontanaktivitäten werden durch die Systemmedien meist bewusst ignoriert oder in die Bedeutungslosigkeit geredet und geschrieben, weshalb solche Aktionen stets nur dort Wirkung entfalten, wo sie vom Volke inhaltlich wahrgenommen werden. Dies ist - gerade bei "klassischen" Demonstrationen - durch die starke Polizeipräsenz und langfristig geplante Gegenmaßnahmen des Systems meist nur eingeschränkt möglich. Um also das Schweigen zu durchbrechen, ist es erforderlich, die Massenmedien zu instrumentalisieren. Wie einfach dies geschehen kann, zeigte die "Flashmob-Aktion" zum Tage der Ermordung von Rudolf Heß:

Durch die Veröffentlichung zahlreicher bundesweiter Treffpunkte für potenziell geplante "Blitzversammlungen" im Netz wurde zunächst der Polizeiapparat gezwungen, alle verfügbaren Kräfte aufzubieten und dennoch nur in kleiner Zahl an den vielen "Brandherden" auf Demonstranten warten zu können. Allein die starke Polizeipräsenz in den Innenstädten des Landes weckte das Interesse derer, die unbeteiligt und voller Unverständnis in Personenkontrollen gerieten oder Zeugen ebensolcher wurden.

Der Grund dafür, dass das System sich (offener als für gewöhnlich) als Polizeistaat präsentierte, war darüber hinaus jedem bekannt, der am 17. August und im Vorfeld die lokale oder überregionale Presse gelesen oder die Nachrichten im örtlichen Radio gehört hatte - nicht selten wurden in Zeitungsartikeln gar die Netzadresse erwähnt, was jedem Interessierten die Möglichkeit bot, sich frei von eingestreuter Meinungsmache des Systems über den Hintergrund der vermeintlich geplanten Aktionen zu informieren.

Dies alles geschah, weil die Medien die skandalöse Schlagzeile witterten, nicht wussten, welche Ausmaße die Aktion tatsächlich annehmen würde und dabei ahnten, dass die notwendige verstärkte Präsenz der Sicherheitsbehörden am Aktionstermin nicht unbemerkt bleiben könnte. Dadurch in Zugzwang geraten, mussten sie berichten, wollten sie nicht die "gute Story" an die Konkurrenz verlieren oder harscher Kritik ihrer Leser und Hörer ausgesetzt sein. Die Berichte aber zwangen die Sicherheitsbehörden, den bevorstehenden Skandal nicht aussitzen zu können, sondern zu reagieren. Ein für die Nutznießer des ewigen Schweigens fataler Kreislauf entstand und wurde durch die Selbstinszenierung zahlreicher systemtreuer Akteure von "linksextrem" bis "bürgerlich" noch intensiviert.

Hierbei war es letztlich sogar völlig egal, ob anvisierte "Aktionsorte" von Aktivisten der radikalen Rechten oder von Linken, anonymen Witzbolden und anderen Systemanhängern auf der Mobilisierungsseite gemeldet wurden - jeder Ort trug zur Zersplitterung der Sicherheitskräfte, zur Anwesenheit von "Gegenaktivisten" und damit zur medialen und realen Wahrnehmung bei. Selbst die internen Diskussionen der "nationalen Szene" und die Gegenrede vieler Skeptiker fanden ihren Weg in die Medien des Systems und förderten damit die Auseinandersetzung mit der Thematik.

Selbstredend mussten bei der Planung der Aktion auch Bedenken hinsichtlich der Weitsicht jener Aktivisten diskutiert werden, die einzig über die Mobilisierungsseite von der Aktion erfahren und gegebenenfalls in "Fallen" des Systems tappen würden. Diese Bedenken konnten jedoch dadurch zerstreut werden, dass organisierte und im Umgang mit Staat und Antifa erfahrene Aktivisten nach unserem Dafürhalten jedenfalls nicht völlig unvorbereitet und unkoordiniert zu im Netz veröffentlichten Treffpunkten ziehen, sondern sich vorab treffen, selbstständig die örtlichen Gegebenheiten ausloten und anhand dieser Lagebeurteilung eine angemessene Entscheidung für oder gegen die geplante oder eine alternative Aktion treffen würden.

Die Realität zeigte zwar, dass diese Auffassung in Teilen nicht zutraf. Jedoch gilt dies umso mehr für die Befürchtungen derer, die den "Flashmob" bei Bekanntwerden am schärfsten kritisiert hatten: Während bei (als Alternative gepriesenen) Spontandemonstrationen regelmäßig Verstöße gegen das Versammlungsgesetz zur Anzeige gebracht werden (da die Sicherheitskräfte des Systems in der Regel erst eintreffen, wenn die Demonstration bereits im Gange oder beendet ist), wurden jene, die unvorbereitet die im Netz veröffentlichten Treffpunkte ansteuerten, von den anwesenden Polizisten mit Platzverweisen bedacht und fortgeschickt. Rechtliche Konsequenzen sind hier nicht zu befürchten - vielmehr dürften diese Aktivisten nunmehr sensibilisiert für die Anforderungen an ihre zukünftige Selbstorganisation sein.

Außerhalb der "nationalen Szene" wurde der eigentliche Sinn der "Flashmobs" zudem oftmals problemlos erkannt, wie aus Leserkommentaren in Onlineausgaben bekannter Zeitungen hervorgeht:

"Wie sagt man immer so schön? Schlechte Nachrichten sind die beste Werbung. Man sollte diese Kreise einfach in den Abgrund der Nichtbeachtung laufen lassen, anstatt Rechtsgeneigte auch noch zusätzlich in den Mainstreammedien über diese Aktionen zu informieren." (Focus-Online)

Das von uns angestrebte Ergebnis der Aktion ist damit insgesamt noch übertroffen worden. So fand das Thema "Rudolf Heß" in einem Ausmaß Eingang in die Systemmedien, welches in der Vergangenheit selbst durch Großaufmärsche nicht besser erreicht werden konnte. Die Artikel in überregionalen Zeitungen erwähnten allesamt, dass seitens der Aktivisten vom Mord an Rudolf Heß ausgegangen wird - im Gegensatz zu ansonsten bekannten Dreizeilern, die lediglich den "Kriegsverbrecher und Hitler-Stellvertreter" kennen. Dieser mediale Erfolg ließ sich mit minimalem Risiko und sehr geringem Aufwand erreichen.

Daneben wurde verdeutlicht, dass es eine Gleichbehandlung vor dem Gesetz in der BRD nicht gibt (siehe dazu auch die "Abusemail" an den Provider): So konnten beispielsweise am 23. Mai 2009 um 14 Uhr ohne Repressionen bundesweit Flashmobs zum Grundgesetz stattfinden - obwohl es sich auch hierbei um nicht angemeldete, vorher angekündigte Versammlungen handelte (bei denen aus dem Grundgesetz zitiert und damit auf Unzulänglichkeiten bei der tatsächlichen Umsetzung von Freiheitsrechten hingewiesen wurde). Auch die "Gegen-Flashmobs", zu denen von linker Seite und der Sächsischen Piratenpartei (anti17august.info) aufgerufen wurde, fanden ungehindert statt.

Zusätzlich wurde der Repressionsapparat und damit die Fähigkeit des Staates jedem, der es sehen wollte, vor Augen geführt, jederzeit Menschen, die ihre Grundrechte wahrnehmen wollen, durch polizeiliche Überpräsenz einschüchtern, zu kriminalisieren und nötigenfalls verfolgen zu können.

Im Ergebnis erlangte das Leben und Sterben von Rudolf Heß durch all dies zumindest für kurze Zeit jene Aufmerksamkeit und Diskussionswürdigkeit in weiten Teilen des Volkes, auf die alle Gedenkaktionen zum Thema seit jeher abzielen. Wer der Aktion daher selbst in der Nachbetrachtung ihren Sinn oder ihre Berechtigung abzusprechen versucht, bringt damit nicht die Haltung eines denkenden politischen Aktivisten, sondern lediglich seine politische Naivität zum Ausdruck.

Pressemeldungen und Blogeinträge zum Flashmob:

Google-News
Google-Blogsearch

Besucherstatistik (Webalizer):

10. August 2009 2308
11. August 2009 6073
12. August 2009 8341
13. August 2009 38458
14. August 2009 7204
15. August 2009 4273
16. August 2009 6783
17. August 2009 11166

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen