Freitag, 21. August 2009

Banker ohne Gewissen - kapitalistische Dekadenz in der Demokratie



"Während die Welt unter den Folgen der Krise leidet, wird in den Bankmetropolen wieder gefeiert. Mit Staatsgeldern bekommen viele Banker Boni in Millionenhöhe ausgezahlt und die Finanzmarktjongleure sehen darin kein Problem. Der Staat schaut hilflos zu, unter den Bürgern macht sich Fassungslosigkeit breit. Die Banker haben wieder gut Lachen - die Krisenzeiten scheinen vorbei zu sein. Wie eine Perlenkette stehen sie aufgereiht an der Theke: lange Haare, tiefe Ausschnitte, kurze Röcke, hohe Schuhe. Golddigger, zu Deutsch: Goldgräberinnen, werden die Frauen genannt, die auf der Suche nach einem lukrativen Männerfang in den Bars des Londoner Finanzdistrikts stehen. "Sie riechen vielleicht, dass das Geld zurückkommt", sagt Michael Simmonds. Zusammen mit vier Kumpels sitzt der 27-Jährige in der unter Bankern beliebten Bar Corney and Barrow nahe dem Büroturm der Schweizer Bank UBS.

Die Augen sind glasig, die Anzüge teuer, der Tisch steht voller Bierflaschen. "Wir lassen uns doch von den miesepetrigen Steuerzahlern das Feiern nicht verbieten", sagt Simmonds. Zusammen mit einem Freund hat der ehemalige Broker vor sechs Wochen seine eigene Firma gegründet, die Unternehmen Kredite beschafft. "Eine Goldgrube" sei das, da wegen der Finanzkrise viele Firmen Probleme hätten, an Geld zu kommen. Während die Wirtschaft in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt, geht es in den Finanzvierteln von London und New York schon wieder recht lustig zu. Allen Beteuerungen von Politikern zum Trotz ist von Umbruch der Finanzmärkte oder einer grundlegenden Änderung der Bankenregulierung in den Metropolen nichts zu spüren. Die Bestellungen für Ferraris steigen, in den Top-Restaurants muss man wieder reservieren, in den Clubs verkaufen sie wieder mehr Champagner. Die Party geht weiter, als wäre nichts gewesen.

"Bab" ist das Modewort des Sommers in London und New York. Es steht für "Bonuses are back". Viele Investmentbanken machen nicht zuletzt dank der fließenden Steuergelder schon wieder gewaltige Gewinne, spekulieren mit hohen Risiken und schütten üppige Boni aus. Dass genau dieses Geschäftsgebaren die Finanzwelt an den Rand des Abgrunds getrieben hatte, scheint keinen recht zu interessieren.

Großbanken wie J.P. Morgan, Deutsche Bank und Credit Swiss schreiben durch ihr Investmentgeschäft wieder schwarze Zahlen und packen den Geldsack aus. Branchenweit dürften die Einkommen der Banker dieses Jahr um 20 bis 30 Prozent steigen, besagt eine Schätzung der Beratungsfirma Johnson Associates. Zu den Krisengewinnern zählt auch die US-Bank Goldman Sachs, die im zweiten Quartal dieses Jahres einen Gewinn von 3,4 Mrd. Dollar erzielte.
Eine gewisse Fassungslosigkeit macht sich breit unter den Briten und Amerikanern. Wegen der waghalsigen Spekulationen der Banker haben sie millionenfach ihre Häuser und Jobs verloren, während sich die vermeintlichen Finanzexperten den Champagner schmecken lassen. Die Weltwirtschaft erholt sich nur mühsam von den Folgen der Finanzkrise, aber die Goldman-Banker können in diesem Jahr voraussichtlich mit den höchsten Boni der Unternehmensgeschichte rechnen. Goldman Sachs-Chef Lloyd Blankfein soll seine Mitarbeiter daher ermahnt haben, mit dem Geld nicht zu protzen und "keinen luxuriösen Lebensstil zur Schau zu stellen", schrieb die "New York Post". Ob sie sich daran halten, steht auf einem anderen Blatt.

700 Mrd. Dollar stellte allein die US-Regierung der Finanzbranche zur Verfügung. Dankbarkeit oder vielleicht nur ein klein wenig Demut erwartet die Öffentlichkeit dafür allerdings vergeblich. Neun US-Banken, die im vergangenen Jahr mit Staatsgeldern gestützt wurden, haben gleichzeitig Boni im Umfang von 33 Mrd. Dollar ausgeschüttet. Fast 5000 Mitarbeiter haben zusätzlich zu ihrem Grundgehalt je mehr als eine Mio. Dollar verdient. Für den Rest des Landes ist das ein Skandal. Die Gesamtsumme würde bei weitem reichen, um das Haushaltsloch des hoch verschuldeten Bundesstaats Kalifornien zu füllen.
Abendsonne entspannt zurück. Er ist Anfang 30 und arbeitet wie seine beiden Kollegen als Wertpapierhändler für eine der großen US-Banken, die von den Steuerzahlern vor einem möglichen Kollaps bewahrt wurden. Ohne die Hilfe aus Washington gäbe es die Bank nicht mehr - und damit auch kein Gehalt und keinen Bonus. Aber das lassen die drei nicht gelten. "Der Bonus macht mehr als die Hälfte des Gehalts aus", sagt Jeremy. Darauf sei er also angewiesen und wenn er vertraglich vereinbart wurde, stünde er ihm auch zu. "Unabhängig davon, ob die Bank gerade Staatsgelder bekommt oder nicht."

Auch in Europas Finanzmetropole London haben die Banken das Büßerhemd abgelegt. Besonders die von Steuerzahler-Garantie gestützte Barclays Bank stürzt sich aggressiv in den Kampf um die besten Talente. Allein in den vergangenen sechs Monaten stellte die Investmenttochter Barclays Capital (BarCap) 1000 neue Mitarbeiter ein. Gerade versucht BarCap-Chef Bob Diamond ein Trading Team von der Konkurrenz JP Morgan abzuwerben. 30 Mio. Pfund soll Diamond den fünf Händlern angeblich versprochen haben. Ähnlich großzügig zeigt sich auch die Royal Bank of Scotland (RBS), die heute zu 70 Prozent den britischen Steuerzahlern gehört. Antonio Polverino, den RBS von Merrill Lynch abgeworben hat, erhält im ersten Jahr einen garantierten Bonus von sieben Mio. Pfund. RBS-Chef Stephen Hester hat sich selbst auch einen hübschen Arbeitsanreiz gegönnt. Er soll einen zweistelligen Millionenbeitrag erhalten, wenn der Aktienkurs der Bank über 70 Pence steigt. Derzeit liegt er etwa bei 47 Pence. Genehmigt wurde dieses großzügige Bonuspaket ausgerechnet von der UKFI, jener Regierungsorganisation, die die Staatsbeteiligungen an britischen Banken wie RBS, Lloyds oder Northern Rock hält. Die Opposition ist erbost: "UKFI hätte Hesters Bonuspaket nie unterzeichnen dürfen", sagt Lord Oakeshott, Finanzsprecher der Liberal Democrats. Hesters könne die Zielmarke von 70 Pence erreichen, "ohne den kleinen Finger zu bewegen." Der Londoner Banker Simmonds in der Corney and Barrow Bar findet die ganze Aufregung um die hohen Gehälter ungerecht. "Seien wir doch mal ehrlich, niemand würde diese Finanzjobs hier machen ohne das hohe Gehalt." Es würde sich ja auch niemand aufregen, wenn Fußballer Millionengagen kassieren. Nur ein Bruchteil der hoch bezahlten Banker seien Schuld an der Krise. "Und gerade für imagemäßig angeschlagene Banken wie die RBS ist es wichtig, die besten Leute zu kriegen, die den Karren aus dem Dreck ziehen." Das gehe nun mal nur mit Top-Gehältern. Davon würde dann auch der Steuerzahler profitieren. "Aber das kapieren die Leute ja nicht, weil ihr Journalisten immer nur schlecht über uns schreibt." Der Druck auf die Politiker steigt. US-Präsident Barack Obama und Großbritanniens Premier Gordon Brown hatten beide vergangenen Herbst versprochen, die Tage der üppigen Boni seien vorbei. Da die Regulierungsbehörden aus Angst, Banken würden ins Ausland abwandern, nichts tun, wollen die Regierungen beider Länder nun selbst durchgreifen. Der britische Finanzminister Alistair Darling kündigte jüngst an, notfalls mit neuen Gesetzen die Boni zu regeln. "Für mich steht fest, dass einige unserer heutigen Probleme dadurch erzeugt wurden, dass einige Händler durch Boni zu riskanten Geschäften angetrieben wurden, die weder sie noch ihre Vorgesetzen wirklich verstanden haben", sagt Darling. Wie genau die Regulierung aussehen könnte, dazu äußerte er sich allerdings bislang nicht. Auch Präsident Obama will das Wählerstimmen schädigende Problem gern aus der Welt haben. Vor ein paar Wochen holte er sich daher Kenneth Feinberg als obersten Gehaltsaufseher ins Finanzministerium. "Gehaltszar" wird er in den US-Zeitungen genannt. Ihm müssen einige Banken, die Staatsgelder erhalten haben, nun Auskunft darüber geben, wie sie ihre Topverdiener vergüten. 60 Tage lang hat er Zeit, die Gehaltszettel zu überprüfen. Welche Konsequenzen sich darauf für die Institute ergeben ist allerdings völlig offen. Jeremy am Biertisch an der Wall Street hält von dem neu geschaffenen Posten des "Gehaltszaren" wenig. "Der Staat sollte sich da nicht einmischen", sagt er. Die drei sind bei der zweiten Runde Bier angelangt. Michael will danach aufbrechen und nach Hause zu seiner Frau fahren. Ted und Jeremy überlegen, weiter ins Restaurant Spice Market im Ausgehviertel Meatpacking District zu ziehen, ein hübsches, nicht einmal besonders teures Lokal. "Mich stört es, wenn die Leute glauben, dass es Bankern nur ums Geld und Feiern geht", sagt Ted. Das sei "Schwachsinn". Wenn Leute aus anderen Branchen ausgingen, beschwere sich schließlich auch keiner. "Wir haben zu Unrecht einen schlechten Ruf", sagt er. "Und wenn wir mal feiern, wo ist das Problem?"
Quelle: welt.online

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