Die Monate zwischen Herbst 1989 und Herbst 1990 waren eine Zeit des Umbruchs in der DDR. Plötzlich spürten viele die Kraft und fanden den Mut, ihre bisherigen Grenzen, trotz des Wissens um den Repressionsapparat, zu überschreiten. So mühten sich an einem Nachmittag des 6. Oktober - einen Tag vor dem 40. Jahrestag der DDR - zwei junge Leute in Berlin, lange Tücher vor einem Wohnblock zu einem schwarzen Kreuz auszulegen.
Der Mann sah mit seinem offenen Hemdkragen und Hausschuhen aus, als sei er nur heruntergekommen, um seinen Briefkasten zu leeren. Er hatte einige Mühe, da der Wind den dünnen Stoff immer wieder hoch zerrte. Als es ihm schließlich gelang, beschwerte die Frau die Enden des Tuches mit Kerzen und schmückte das Kreuz mit Blumen.
Eine Dreiviertelstunde später fuhr ein Funkwagen vor und stellte sich quer zum Haus vor die schwarze Provokation. Fünf Minuten später folgte ihm ein Trabant, aus dem vier auffällig unauffällige Männer ausstiegen. Sie berieten sich mit den zwei Uniformierten im Funkwagen, rauchten, bis einer von ihnen eine Kamera hervorholte und begann, vorsichtig um das Kreuz herum zu fotografieren.
Als er genug Aufnahmen gemacht hatte, näherte er sich vorsichtig der Vase mit den Blumen und kippte sie mit seinem Schlagstock um, während die zwei Uniformierten Listen mit den Namenschildern an den Haustüren verglichen. Dann verpackten sie die Vase, die Blumen, die zwei Kerzen und die beiden Stoffbahnen einzeln in Plastiktüten und nach zwölf Minuten war alles wie immer.
Rückblickend wirkt das Trauerkreuz, das damals Polizei und Geheimdienst der DDR auf den Plan rief, geradezu absurd banal. Es war jemand gekommen und hatte ein Zeichen gesetzt, zwei oder drei andere hatten es gesehen, ohne unmittelbare Folgen. Und doch hatten Polizei und MfS ihre Ermittlungen aufgenommen, weil ihnen trotz aller Schönrederei bewusst war, dass 40 Jahre DDR nur 40 Jahre Trauer sein konnten.
Zwei Jahrzehnte sind seitdem vergangen, die friedliche Revolution ist aus dem Gedächtnis vieler längst schon verblasst und doch hat sich nicht viel geändert. Wieder ermitteln die Einheiten des Staates, weil Leute gekommen waren und "verkleidet als Sensenmänner den Halloweenumzug genutzt [haben], um illegal politische Parolen zu verbreiten", was wohl heißen soll, dass es überhaupt illegal ist, ungeschönt auf die Verhältnisse in der BRD hinzuweisen.
"Wir ermitteln wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht", zitiert ein Qualitätsjournalist die Sprecherin der Polizei. Reflexartig wird in alte Muster verfallen, nach Zeugen gesucht, welche die Provokation beobachtet haben - so, als hätte es die vergangenen 20 Jahre nie gegeben. Das änderte jedoch schon im Oktober 1989 nichts daran, dass sich der Protest überall im Lande ausbreitete und der Staat nur wenige Monate später unterging.
Hintergrundinformationen unter www.spreelichter.info !
Der Mann sah mit seinem offenen Hemdkragen und Hausschuhen aus, als sei er nur heruntergekommen, um seinen Briefkasten zu leeren. Er hatte einige Mühe, da der Wind den dünnen Stoff immer wieder hoch zerrte. Als es ihm schließlich gelang, beschwerte die Frau die Enden des Tuches mit Kerzen und schmückte das Kreuz mit Blumen.
Eine Dreiviertelstunde später fuhr ein Funkwagen vor und stellte sich quer zum Haus vor die schwarze Provokation. Fünf Minuten später folgte ihm ein Trabant, aus dem vier auffällig unauffällige Männer ausstiegen. Sie berieten sich mit den zwei Uniformierten im Funkwagen, rauchten, bis einer von ihnen eine Kamera hervorholte und begann, vorsichtig um das Kreuz herum zu fotografieren.
Als er genug Aufnahmen gemacht hatte, näherte er sich vorsichtig der Vase mit den Blumen und kippte sie mit seinem Schlagstock um, während die zwei Uniformierten Listen mit den Namenschildern an den Haustüren verglichen. Dann verpackten sie die Vase, die Blumen, die zwei Kerzen und die beiden Stoffbahnen einzeln in Plastiktüten und nach zwölf Minuten war alles wie immer.
Rückblickend wirkt das Trauerkreuz, das damals Polizei und Geheimdienst der DDR auf den Plan rief, geradezu absurd banal. Es war jemand gekommen und hatte ein Zeichen gesetzt, zwei oder drei andere hatten es gesehen, ohne unmittelbare Folgen. Und doch hatten Polizei und MfS ihre Ermittlungen aufgenommen, weil ihnen trotz aller Schönrederei bewusst war, dass 40 Jahre DDR nur 40 Jahre Trauer sein konnten.
Zwei Jahrzehnte sind seitdem vergangen, die friedliche Revolution ist aus dem Gedächtnis vieler längst schon verblasst und doch hat sich nicht viel geändert. Wieder ermitteln die Einheiten des Staates, weil Leute gekommen waren und "verkleidet als Sensenmänner den Halloweenumzug genutzt [haben], um illegal politische Parolen zu verbreiten", was wohl heißen soll, dass es überhaupt illegal ist, ungeschönt auf die Verhältnisse in der BRD hinzuweisen.
"Wir ermitteln wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht", zitiert ein Qualitätsjournalist die Sprecherin der Polizei. Reflexartig wird in alte Muster verfallen, nach Zeugen gesucht, welche die Provokation beobachtet haben - so, als hätte es die vergangenen 20 Jahre nie gegeben. Das änderte jedoch schon im Oktober 1989 nichts daran, dass sich der Protest überall im Lande ausbreitete und der Staat nur wenige Monate später unterging.
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