FOCUS Online: Sie gehen mit Ihrem neuen Buch hart mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte ins Gericht. Auf welchen Gebieten ist sie Ihrer Auffassung nach vornehmlich gescheitert?
Knabe: Es war ein Fehler, dass die verantwortliche Partei für den DDR-Unrechtsstaat – anders als 1945 die NSDAP oder 1991 die KPdSU – nicht aufgelöst wurde. Durch Umbenennung und Verschiebung von Milliardenbeträgen konnte sich die SED in die neue Zeit retten. Seitdem trägt sie maßgeblich dazu bei, dass die kommunistische Diktatur in Deutschland vielfach verharmlost wird. Allein die Tatsache, dass alte SED-Funktionäre und ehemalige Stasi-Mitarbeiter heute wieder in wichtigen politischen Funktionen sitzen, lässt das DDR-Regime wie ein Kavaliersdelikt erscheinen.
FOCUS Online: Die PDS ist aber nur ein Teil des Problems, oder?
Knabe: Zu einer Bestrafung der Täter ist es praktisch nicht gekommen. Nur 19 DDR-Verantwortliche mussten ins Gefängnis und kamen schon kurz darauf wieder frei. Schlimmer noch: Die Täter profitieren bis heute von ihrer früheren Unterdrückungstätigkeit. Auf Beschluss des Verfassungsgerichts bekommen sie diese bei der Rente als „Lebensleistung“ angerechnet. Dadurch stehen sie oft weit besser da als ihre Opfer. Viele Verfolgte sagen deshalb: Es hat sich nicht gelohnt, Widerstand zu leisten – für eine Demokratie eine gefährliche Bilanz.
FOCUS Online: Viele Opfer des Regimes sind frustriert, weil es ihren einstigen Peinigern so gut geht...
Knabe: ...und weil ihre eigene Verfolgung weiter fortwirkt. Wer in der DDR kein Abitur machen und nicht studieren durfte, bekommt heute nur eine minimale Rente. Während Milliardenbeträge in die Taschen der einstigen Funktionäre fließen, werden die Verfolgten – zum Beispiel bei der geplanten Opferrente – mit Almosen abgespeist. Anders als NS-Verfolgte sind die SED-Opfer schlecht organisiert und haben kaum eine Lobby.
FOCUS Online: Wohingegen sich die Täter in verschiedenen Vereinigungen organisiert haben.
Knabe: In gut organisierten Kampagnen haben die Funktionäre erfolgreich gegen die anfänglichen Rentenkürzungen und die vermeintliche Siegerjustiz agitiert. Sie haben erreicht, dass ein Wärter in Bautzen heute mehr Rente bekommt als ein früher dort Inhaftierter. Jetzt betreiben diese Vereine vor allem einen massiven Geschichtsrevisionismus. Sie verherrlichen die SED-Diktatur und verhöhnen die Opfer als „Kriminelle“ – schließlich hätten diese ja gegen DDR-Recht verstoßen. Auch die Mauertoten wären selbst daran schuld, dass sie erschossen wurden – sie hätten ja die Grenzübergänge benutzen können. Für die Opfer ist das sehr schmerzhaft, und kaum jemand steht ihnen bei.
FOCUS Online: Mangelt es also an einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Unrechtsstaat?
Knabe: Es ist in den Köpfen nur ungenügend präsent, dass die DDR eine menschenverachtende Diktatur war. Sie wird, wie Ralph Giordano einmal gesagt hat, nicht dadurch besser, dass es in Deutschland ein noch schrecklicheres Regime gegeben hat. Die SED-Opfer haben das Problem, dass sie immer im Schatten des Nationalsozialismus stehen. Sie werden gesellschaftlich weniger gewürdigt und schneiden auch bei den Entschädigungen schlechter ab. Viele fühlen sich deshalb als „Opfer zweiter Klasse“. Für die Betroffenen ist das wie eine zweite Traumatisierung.
FOCUS-Online: Verblasst die Erinnerung auch, weil das Ende der DDR immer weiter in die Vergangenheit rückt?
Knabe: Natürlich. Die Älteren vergessen zunehmend, wie es in der DDR wirklich war, und die Jüngeren wissen es häufig nicht, weil es ihnen niemand beigebracht hat. Aufgabe von Politik und Gesellschaft wäre es, diesen verklärenden Tendenzen entgegenzuwirken. Das geschieht aber kaum. 31 Prozent der Ostdeutschen sind heute der Meinung, dass die DDR keine Diktatur war.
FOCUS Online: Auch das Thema Stasi rückt immer weiter aus dem Blickfeld.
Knabe: Bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur haben wir uns zu sehr auf die kleinen Spitzel statt auf deren Auftraggeber konzentriert. Das hat bei vielen Menschen zu Unverständnis und Überdruss geführt. Die PDS hat sich dies zunutze gemacht und durch ständige Tabubrüche die Tätigkeit für die DDR-Geheimpolizei allmählich hoffähig gemacht. Es droht das Bewusstsein verloren zu gehen, dass ein Stasi-Mitarbeiter in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen hat.
FOCUS Online: Gerichte haben in der Vergangenheit immer wieder verboten, über die Stasi-Tätigkeit von Prominenten zu berichten – mit welchen Folgen?
Knabe: Die Pressekammern in Berlin und Hamburg haben sich zum Mekka früherer Stasi-Mitarbeiter entwickelt. Fast jeder bekommt dort Recht, der eine Berichterstattung über seinen Fall unterbinden will. Dieser Täterschutz hat fatale Folgen für die Aufarbeitung. Über Gregor Gysi wagt sich kaum noch ein Journalist offen zu schreiben. Auch mein Buch wird deshalb möglicherweise nicht lange zu kaufen sein.
Knabe: Es war ein Fehler, dass die verantwortliche Partei für den DDR-Unrechtsstaat – anders als 1945 die NSDAP oder 1991 die KPdSU – nicht aufgelöst wurde. Durch Umbenennung und Verschiebung von Milliardenbeträgen konnte sich die SED in die neue Zeit retten. Seitdem trägt sie maßgeblich dazu bei, dass die kommunistische Diktatur in Deutschland vielfach verharmlost wird. Allein die Tatsache, dass alte SED-Funktionäre und ehemalige Stasi-Mitarbeiter heute wieder in wichtigen politischen Funktionen sitzen, lässt das DDR-Regime wie ein Kavaliersdelikt erscheinen.
FOCUS Online: Die PDS ist aber nur ein Teil des Problems, oder?
Knabe: Zu einer Bestrafung der Täter ist es praktisch nicht gekommen. Nur 19 DDR-Verantwortliche mussten ins Gefängnis und kamen schon kurz darauf wieder frei. Schlimmer noch: Die Täter profitieren bis heute von ihrer früheren Unterdrückungstätigkeit. Auf Beschluss des Verfassungsgerichts bekommen sie diese bei der Rente als „Lebensleistung“ angerechnet. Dadurch stehen sie oft weit besser da als ihre Opfer. Viele Verfolgte sagen deshalb: Es hat sich nicht gelohnt, Widerstand zu leisten – für eine Demokratie eine gefährliche Bilanz.
FOCUS Online: Viele Opfer des Regimes sind frustriert, weil es ihren einstigen Peinigern so gut geht...
Knabe: ...und weil ihre eigene Verfolgung weiter fortwirkt. Wer in der DDR kein Abitur machen und nicht studieren durfte, bekommt heute nur eine minimale Rente. Während Milliardenbeträge in die Taschen der einstigen Funktionäre fließen, werden die Verfolgten – zum Beispiel bei der geplanten Opferrente – mit Almosen abgespeist. Anders als NS-Verfolgte sind die SED-Opfer schlecht organisiert und haben kaum eine Lobby.
FOCUS Online: Wohingegen sich die Täter in verschiedenen Vereinigungen organisiert haben.
Knabe: In gut organisierten Kampagnen haben die Funktionäre erfolgreich gegen die anfänglichen Rentenkürzungen und die vermeintliche Siegerjustiz agitiert. Sie haben erreicht, dass ein Wärter in Bautzen heute mehr Rente bekommt als ein früher dort Inhaftierter. Jetzt betreiben diese Vereine vor allem einen massiven Geschichtsrevisionismus. Sie verherrlichen die SED-Diktatur und verhöhnen die Opfer als „Kriminelle“ – schließlich hätten diese ja gegen DDR-Recht verstoßen. Auch die Mauertoten wären selbst daran schuld, dass sie erschossen wurden – sie hätten ja die Grenzübergänge benutzen können. Für die Opfer ist das sehr schmerzhaft, und kaum jemand steht ihnen bei.
FOCUS Online: Mangelt es also an einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Unrechtsstaat?
Knabe: Es ist in den Köpfen nur ungenügend präsent, dass die DDR eine menschenverachtende Diktatur war. Sie wird, wie Ralph Giordano einmal gesagt hat, nicht dadurch besser, dass es in Deutschland ein noch schrecklicheres Regime gegeben hat. Die SED-Opfer haben das Problem, dass sie immer im Schatten des Nationalsozialismus stehen. Sie werden gesellschaftlich weniger gewürdigt und schneiden auch bei den Entschädigungen schlechter ab. Viele fühlen sich deshalb als „Opfer zweiter Klasse“. Für die Betroffenen ist das wie eine zweite Traumatisierung.
FOCUS-Online: Verblasst die Erinnerung auch, weil das Ende der DDR immer weiter in die Vergangenheit rückt?
Knabe: Natürlich. Die Älteren vergessen zunehmend, wie es in der DDR wirklich war, und die Jüngeren wissen es häufig nicht, weil es ihnen niemand beigebracht hat. Aufgabe von Politik und Gesellschaft wäre es, diesen verklärenden Tendenzen entgegenzuwirken. Das geschieht aber kaum. 31 Prozent der Ostdeutschen sind heute der Meinung, dass die DDR keine Diktatur war.
FOCUS Online: Auch das Thema Stasi rückt immer weiter aus dem Blickfeld.
Knabe: Bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur haben wir uns zu sehr auf die kleinen Spitzel statt auf deren Auftraggeber konzentriert. Das hat bei vielen Menschen zu Unverständnis und Überdruss geführt. Die PDS hat sich dies zunutze gemacht und durch ständige Tabubrüche die Tätigkeit für die DDR-Geheimpolizei allmählich hoffähig gemacht. Es droht das Bewusstsein verloren zu gehen, dass ein Stasi-Mitarbeiter in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen hat.
FOCUS Online: Gerichte haben in der Vergangenheit immer wieder verboten, über die Stasi-Tätigkeit von Prominenten zu berichten – mit welchen Folgen?
Knabe: Die Pressekammern in Berlin und Hamburg haben sich zum Mekka früherer Stasi-Mitarbeiter entwickelt. Fast jeder bekommt dort Recht, der eine Berichterstattung über seinen Fall unterbinden will. Dieser Täterschutz hat fatale Folgen für die Aufarbeitung. Über Gregor Gysi wagt sich kaum noch ein Journalist offen zu schreiben. Auch mein Buch wird deshalb möglicherweise nicht lange zu kaufen sein.
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